„Pauline“- die Lehniner Kleinbahn
Schon im Jahr 1878 dachte man über den Bau einer Ringbahn um Berlin nach. Das Teilstück Brandenburg – Jüterbog sollte über Lehnin und Brück führen. Doch für dieses Projekt fehlte das nötige Geld. So entschied man sich für eine finanziell günstigere Variante, für eine Stichbahn von Groß Kreutz nach Lehnin. Die Kosten hierfür betrugen rund 600.000 Mark.
Im Mai 1899 begannen die Bauarbeiten an der geplanten Kleinbahnstrecke. Bereits am
18. Oktober 1899 wurde die in Normalspur gebaute Kleinbahn mit einer Streckenlänge von
11,95 km in Betrieb genommen. Leider fuhr sie nur 68 Jahre.
Am Bau der Bahn beteiligte sich insbesondere der Ziegeleibesitzer Schultze, um damit seine Ziegel schnell und billig versenden zu können. Mit Inbetriebnahme der Kleinbahn bestanden nicht nur günstigere Voraussetzungen für den Transport der Ziegel, die in Lehnin und in der Umgebung produziert wurden und für die Städte Potsdam und Berlin bestimmt waren, sondern auch für die Entwicklung des Ausflugsverkehrs.
Die Bahn durchfuhr die Dörfer Nahmitz, Damsdorf und Neu Bochow, ehe sie am Bahnhof Groß Kreutz ankam. Dort hatte sie zwar einen Gleisanschluss an die vorbei führende Hauptstrecke Berlin – Magdeburg, doch der diente nur für den Umschlag der Güter. Für die Reisenden aus Lehnin endete hier die Bahn; sie mussten umsteigen, wenn sie Potsdam, Berlin oder Brandenburg erreichen wollten.
1906 wurde auf Antrag des Nahmitzer Dampfsägemühlenbesitzers Berkholz ein Anschlussgleis zum Sägewerk gebaut. Es war das Einzige der Strecke.
Die Kleinbahn brachte viele Ausflügler und Urlauber nach Lehnin. Im Sommer 1917 verkehrten werktags 5 und an Sonn- und Feiertagen sogar 6 Zugpaare. In den Wintermonaten war das Reiseaufkommen wesentlich geringer.
Im Jahr 1930 wurden 3003 Zugfahrten gezählt, wobei 105.427 Personen und 47.362 t Güter befördert wurden. Die Züge waren gleichzeitig mit Personen- und Güterwagen (je nach Transportbedarf) unterwegs. In den späteren 1930-er Jahren nahm der Güterverkehr stark zu, denn die Bahn diente nun auch für den Transport von Baustoffen, die für den Bau der Autobahn Berlin – Magdeburg benötigt wurden.
Besonders in der Zeit des 2. Weltkrieges nahm der Personenverkehr sprunghaft zu, weil die Autobuslinien wegen Treibstoffmangels kaum noch verkehrten. Im Jahr 1943 fuhren 276.766 Personen mit der „Pauline“, mehr als doppelt so viel wie im Jahr 1930. Trotzdem wurde nach eigenen Angaben nur ein Überschuss von 15.803,83 Mark erwirtschaftet. Während des
2. Weltkrieges gab es nur geringe Einschränkungen im Betriebs- und Verkehrsdienst.
Nach dem Kriegsende 1945 fuhr die Bahn infolge Personal- und Kohlemangels nur zwei Mal am Tag in jede Richtung. Später gelang es wieder täglich fünf Zugpaare für die Personen- und Güterbeförderung einzusetzen.
Die 12 km lange Fahrt von Lehnin nach Groß Kreutz dauerte eine ¾ Stunde.
1948 wurde die Bahn von 223.124 Personen genutzt. Diese Zahlen hielten sich noch bis in die 1950-er Jahre. Grund dafür war u.a. der verbotene „Warenaustausch“ in Westberlin. Die so genannten „Schieber“ aus dem Osten verkauften dort für Westgeld (D-Mark) ihr Obst, Gemüse oder andere Produkte, sogar gebündeltes Kienholz zum Feuer Anzünden. Für das erhaltene Westgeld wurden entweder an Ort und Stelle wieder Waren eingekauft oder das Westgeld wurde in der Wechselstube zum Kurs von 1:5 in Ostmark umgetauscht. Das war natürlich nicht
ganz einfach, denn zwischen Berlin – Wannsee und Potsdam lauerten Grenzkontrolleure, die den „Schiebern“ so manches Produkt gleich abnahmen, da dieser Handel natürlich verboten war.
Die anderen Personen, die morgens und abends den Zug füllten, waren so genannte „Grenzgänger“.
Sie verdienten in Westberlin ihren Lohn, wohnten aber in Lehnin und Umgebung. Am Monatsende wurde ihnen ein nicht unerheblicher Teil des Verdienstes in Westgeld ausgezahlt.
Mit der Schließung der Grenze am 13. August 1961 waren diese Arbeitsplätze nicht mehr erreichbar; auch die „Schieber“ hatten nun keine Möglichkeit mehr ihre Waren oder Ostgeld zu „tauschen“.
Der Personenverkehr nahm schon ab Mitte der 1950-er Jahre merklich ab. Ursache hierfür waren zwei Buslinien. Die eine wurde vom Lehniner Busbetrieb Behrendt betrieben und brachte die Fahrgäste, in kürzerer Zeit und ohne dass sie umsteigen mussten, nach Brandenburg; die andere Buslinie, betrieben von der Firma Wetzel aus Cammer, führte von Belzig über Lehnin direkt nach Potsdam. Die Fahrt dauerte nur halb solange als mit „Pauline“. Der Winterfahrplan 1963/64 wurde entsprechend ausgedünnt. Damit reagierte die Bahn auf den drastisch zurück gegangenen Personenverkehr und setzte nach Groß Kreutz täglich nur noch jeweils ein Zugpaar morgens und abends für den Arbeiterverkehr ein.
Von den 12 Ziegeleien rings um Lehnin schloss 1963 die letzte Ziegelei in Rädel für immer ihre Tore. Damit fiel ein erheblicher Güterumschlag bei der Bahn weg; ab 1964 gab es in Neu Bochow keinen Wagenladungsverkehr mehr. Eine Stilllegung der Strecke rückte immer näher.
1964 hatte die Bahn auf der Strecke nach Groß Kreutz kurzzeitig einen D-Zugwagen mit Abteilen der 1. und 2. Klasse eingesetzt. So konnte man auf Samtsitzen die ¾-stündige Fahrt genießen.
Wegen der maroden Gleise und zur besseren Verteilung der Achslast wurde zuletzt eine Schlepptenderlok der Baureihe 38 (sächsische P 8) eingesetzt. Schon längere Zeit duften sie nur noch maximal 30 km/h fahren.
Am 19. Dezember 1965 fuhr der letzte Personenzug und am 10. Oktober 1967 der letzte Güterzug von Lehnin nach Groß Kreutz. In Windeseile wurden die Gleise abgebaut, teilweise durch russische Soldaten (ältere Anwohner erinnerten sich dabei an das Kriegsende 1945, wo Ähnliches in Ostdeutschland geschah).
Nun war das 12 km entfernte Golzow (Bahnstrecke Brandenburg – Belzig) der neue Güterumschlagplatz für Kohlen und Düngemittel, die für die Lehniner Bevölkerung bestimmt waren und mit LKW verteilt wurden.
Für den Arbeiterverkehr nach Groß Kreutz wurden zweimal täglich Busse eingesetzt.
Schnell holte sich die Natur die zuvor durch die Bahn genutzten Flächen zurück. Nur mit einem geübten Blick und anhand von Beschreibungen kann man noch teilweise den Trassenverlauf der „Pauline“ erkennen.
gez. Jürgen Back
Ortschronist Lehnin
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